Aufregende Zeiten

Foto: Katja Klüßendorf

21. Buchmesse Havanna mit besonderer Spannung

Von Jörn Böwe

Die Buchmesse Havanna war immer ein Ort intellektueller und politischer Debatten, doch in diesem Jahr lag eine besondere Spannung in der Luft. Die sozialistische Inselrepublik steht am Beginn großer Veränderungen. Vor einem Jahr hatte die Führung um Staatspräsident und Armeechef Raúl Castro eine vorsichtige Stärkung des Privatsektors in der Wirtschaft eingeleitet. Mittlerweile sind fast eine halbe Million Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst entlassen, ebenso viele sollen noch folgen – eine enorme Zahl angesichts einer Gesamtbevölkerung von elf Millionen. »Trabajar a propia cuenta « – Arbeiten auf eigene Rechnung, heißt die neue Losung. Mittlerweile schlagen sich rund 300 000 Kubaner als Kleinselbstständige durch, kutschieren Taxis und Fahrradrikschas durch Havannas Straßen, betreiben Imbissbuden, private Restaurants oder vermieten Fremdenzimmer.

Nicht alle gewinnen gleichermaßen bei dieser Art von Reformen. Einer, der Verwerfungen, die der neue Kurs mit sich bringt, offensiv aufgreift, ist der Publizist Enrique Ubieta, Herausgeber der Monatszeitung »La Calle del Medio«. Die Kommandantur Che Guevaras auf der alten Kolonialfestung Fortaleza de San Carlos de la Cabaña war besetzt bis auf den letzten Platz, als Ubieta pointiert und streitbar sein neues Buch »Cuba: Revolución o Reforma?« präsentierte.

Etwas abseits der hitzigen Debatten ist die Buchmesse Havanna, die in diesem Jahr vom 9. bis 18. Februar stattfand, immer ein riesiges Volksfest. 300 000 Besucher zählte man diesmal an den Ständen in der Cabaña, damit wäre etwa jeder siebte Hauptstädter gekommen. In der Provinz, durch die die Buchmesse im Anschluss tourte, gab es nach Angaben der kubanischen Buchkammer deutlich über zwei Millionen Besucher zusätzlich. Insgesamt wurden über 1,4 Millionen Bücher verkauft. Das Hauptthema der Messe war 2012 den Kulturen der Völker der Karibik gewidmet – eines historischgeografischen Raums, der vom Süden der USA über die Großen und Kleinen Antillen bis zum Nordosten Brasiliens reicht. 200 Autoren und Publizisten aus rund 30 Ländern stellten sich vor, darunter der mexikanische Schriftsteller Sergio Pitol (Cervantes- Preis 2005), karibische Intellektuelle wie Sir Hilary Beckles aus Barbados, die Haitianerin Suzy Castor und der Jamaikaner Norman Girvan, Professor an der University of the West Indies von Trinidad and Tobago.

Auf reges Interesse stieß auch die Vorstellung des Buches »Zärtlichkeit der Völker: Die DDR und Kuba« von Heinz Langer, das der ehemalige DDR-Botschafter in der »Comandancia del Che« präsentierte. Ein politischer Höhepunkt der diesjährigen »Feria« war ein Treffen von Intellektuellen aus 22 Ländern mit Fidel Castro. Mit dabei waren neben dem brasilianischen Befreiungstheologen Frei Betto und dem Chefredakteur der spanischen Ausgabe von »Le Monde diplomatique«, Ignacio Ramonet, auch Vertreter des Berliner Büros Buchmesse Havanna. Es war 2004 ins Leben gerufen worden, als die Frankfurter Buchmesse auf Druck der Bundesregierung die kubanische Einladung ausgeschlagen hatte, als »Schwerpunktland« auf der Messe zu agieren. Zwischen 2004 und 2007 war Deutschland nicht mehr offiziell auf der »Feria Internacional del Libro« vertreten. Linke Verlage wollten sich dem Boykott nicht anschließen und gründeten mit Unterstützung von Solidaritätsgruppen, der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft verdi und der Tageszeitung junge Welt das Berliner Büro Buchmesse Havanna, um auf diese Weise einen alternativen Messeauftritt zu sichern. Die Initiative dürfte dazu beigetragen haben, dass der deutsche Boykott 2008 beendet wurde. Seither präsentiert sich die Mehrheit der deutschen Verlage wieder am »offiziellen« Stand der Frankfurter.

Aus: Sprachrohr, Nr. 02/2012, S. 4

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