Das Bücher-Outlet von Havanna

Mit ver.di wird Lesestoff auf die 20. »Fería internacional del Libro« gebracht

Von Johannes Schulten, Havanna

dk/junge Welt

Vier Tage hat man in Kuba für ein Buch, heißt es etwas ironisch auf Havannas Straßen. Drei, um es zu lesen, und einen, um es an den nächsten weiterzugeben. Die Kubaner lesen viel und gerne. Doch die Produktion von Papier ist extrem energieintensiv und nur begrenzt möglich auf der ressourcenarmen Karibikinsel. Der Import ist sehr teuer, Bücher sind also Mangelware. Das gilt besonders für alle, die nur über die Standardwährung, die sogenannte Moneda Nacional, verfügen, was bei den meisten Kubanern der Fall ist. Deshalb wird getauscht und verliehen, was das Zeug hält. Abhilfe für alle Lesehungrigen schafft einmal im Jahr die »Internationale Buchmesse von Havanna«, die in diesem Februar zum 20. Mal veranstaltet wurde.

Die Bezeichnung Buchmesse ist vielleicht etwas irreleitend. Anders als in Frankfurt oder Leipzig handelt es sich um kein Treffen der Verlagsindustrie mit Publikum, das mit Lesungen berühmter Schriftsteller und anderen Events gelockt wird. Die »Fería internacional del Libro« ist eigentlich ein Bücher-Outlet, ein riesiger Supermarkt für Lesestoff sozusagen. Hier gibt es Qualitätsbücher zu staatlich subventionierten Preisen. Zwar hat sich Havanna nicht zuletzt wegen der renommierten internationalen Gäste den Ruf der zweitwichtigsten Messe Lateinamerikas gleich hinter der im mexikanischen Guadalajara erworben. Doch im Kern geht es hier darum, preiswert Bücher anzubieten, die während des restlichen Jahres nur schwer zu bekommen sind. Über 700 000 Titel sollen es in diesem Jahr gewesen sein.

Die Buchmesse ist Gesprächsthema. Fast ganz Havanna war schon da, und wer es noch nicht geschafft hat, will noch kommen. So strömen Zehntausende täglich durch die Gänge der alten Festung »La Cabaña«, die majestätisch hoch über der Bucht von Havanna thront. Das Publikum ist entsprechend bunt: Polizisten kommen als Besucher. Soldatinnen in Miniröcken mischen sich mit Jugendlichen, die mit ihren riesigen Gürtelschnallen und noch größeren Sonnenbrillen aussehen, als entstammten sie einem der in Kuba äußerst beliebten Reggaetong-Videos. Rentner treffen auf wuselnde Schulklassen, Gaststudenten auf Familien und auch der eine oder andere hohe Parteifunktionär bahnt sich von Zeit zu Zeit seinen Weg durch die Besucher.

Besonders beliebt sind Bücher mit Gebrauchswert. Stände, die Wörter-, Koch-, Schul- oder Gartenbücher im Angebot haben, werden nicht besucht, sondern belagert. Nach mitteleuropäischer Befindlichkeit eher zum Weitergehen animierende meterlange Warteschlangen vor den Eingängen dienen hier als Indikatoren für nützlichen Lesestoff. So etwa am Stand eines kubanischen Medizinverlags, vor dem sich seit dem ersten Tag nie weniger als sechzig Mittzwanziger seelenruhig die Füße in den Bauch stehen, um sich fürs neue Semester mit Studienbüchern einzudecken.

Auch Romane und Sachbücher gehen gut. Die gibt es zum Beispiel in der Librería, wo Tausende Titel in alten Supermarktregalen in vier großen Hallen gestapelt sind und zu Pfennigbeträgen unters Volk gebracht werden. Als beispielsweise Eduardo Galeanos Geschichtsepos »Die offenen Adern Lateinamerikas« in schickem Paperback auf den Markt kam, war es innerhalb weniger Stunden ausverkauft.

Die unangefochtenen Stars sind jedoch die unzähligen buntillustrierten Kinderbücher, die in Plastiktüten an gefühlt jedem vierten Handgelenk baumeln. Gegen »Pinocho« oder »Edad de Oro« hat selbst der uruguayische Fußballpoet Galeano keine Chance. Überhaupt scheint es, als kämen die Eltern nicht mit ihren Kindern, sondern die Kleinen mit ihren Eltern.

In den Gängen der Festung wimmelt es von fein herausgeputzten Kindern, die Mama und Papa zwischen den Ständen und Spielbuden hin und her manövrieren. Pausiert wird höchstens an einem der unzähligen Eis- und Imbissstände oder beim Stand des »Berliner Büros Buchmesse Havanna«, das von ver.di, der Tageszeitung junge Welt und Organisationen der Kuba-Solidarität betrieben wird. Neben zahlreichen Büchern linker deutscher Verlage gibt es dort nämlich auch immer einen Bleistift, einen Luftballon oder sonst ein Gimmick in schickem ver.di-Style. ver.di-Repräsentant Andreas Köhn avancierte so zum Liebling des kubanischen Lese-Nachwuchses.

Das Büro Buchmesse ist seit 2004 in Havanna vertreten. Der damalige Ehrengast Deutschland hatte die Messe wegen der Verhaftung von 75 Regierungsgegnern und -kritikern durch die Regierung Castro boykottiert. Zahlreiche Verlage hatten bereits mit der Planung begonnen und fühlten sich im Stich gelassen, nicht zuletzt, weil sie den Kulturboykott nicht unterstützten. Das Büro Buchmesse sprang ein und durchbrach gemeinsam mit 35 Verlagen erfolgreich die Blockade.

Zu ihrem 20. Jubiläum präsentierte die Buchmesse in diesem Jahr einen besonderen Ehrengast: Die Staaten des antineoliberalen Integrationsbündnisses der »Bolivarischen Allianz für die Völker Unseres Amerikas«, kurz ALBA. Die meisten Länder Lateinamerikas begehen in diesen Jahren ihr »Bicentenario«, die Feierlichkeiten zu 200 Jahren Unabhängigkeit von den spanischen und portugiesischen Kolonialherren. Mit der Wahl der ALBA als Ehrengast sollte sich Stimmung auch auf der Buchmesse widerspiegeln. Spannung war also geboten, eilt der Fería ohnehin der Ruf voraus, eines der interessantesten Treffen linker Intellektueller weltweit zu sein.

Doch wer Diskussionsrunden mit Politikern und Kulturschaffenden aus Bolivien, Ecuador, Venezuela oder Nicaragua über politische Emanzipation oder Linkswende erwartete, wurde leider enttäuscht. Weder ausländische Politprominenz noch Schriftsteller der ALBA-Staaten waren angereist, um einen Einblick in die verschiedenen und sicherlich spannenden Literaturszenen ihrer Länder zu geben. Das politische Programm der Messe widmete sich in weiten Teilen klassischen Themen wie neuen Büchern über Fidel Castro und Che Guevara.

Dass es trotzdem nicht bei Politfolklore blieb, lag unter anderem am kubanischen Krimigott Leonardo Padura, der sein neues Buch »Der Mann, der die Hunde liebte« vorstellte. Dem deutschen Publikum dürfte der 55jährige vor allem durch seinen Krimizyklus »Das Havanna Quartett« und die entmythisierende Hommage an den großen Reporter und Wahlkubaner Ernest Hemingway bekannt sein. In dem neuen Buch geht es um den russischen Revolutionär Leo Trotzky und seinen Mörder Ramón Mercader, der ihn 1940 im mexikanischen Exil im Auftrag Stalins mit einem Eispickel hingerichtet hat.

Was das mit Kuba zu tun hat? Mercader verbrachte seinen Lebensabend unter dem Decknamen Jaime Ramón López auf der Insel – getarnt als spanischer Republikaner und mit ausdrücklicher Genehmigung der Regierung Castro.

Aus: Sprachrohr, 2/2011, Seite 13.

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